Aller Anfang ist schwer und manche Dinge werden auch nach zahllosen Wiederholungen nicht einfacher. Wie zum Beispiel das Schreiben einer Kolumne oder die tägliche Planung des Speisefahrplans. Aus gegebenem Anlass gehe ich daher der (elendigen) Frage nach, die jeder gekochten Speise vorausgeht und man sich jeden (vermaledeiten) Tag aufs Neue stellen muss.
04.03.2022
Ich weiss, es ist plump, zu Beginn eines Texts über die Schwierigkeiten des Schreibens zu sinnieren. Der unentschlossen blinkende Cursor auf dem leuchtenden Bildschirm schmeckt genauso abgestanden wie das Bild des frustrierten, Papier zerknüllenden Poeten mit Federkiel. Die leere Seite muss aber voll werden. In einem Moment der Verzweiflung tue ich also das, was schon zahllose Andere vor mir getan haben: Ich öffne Google und fange an zu tippen: «Was soll ich schreiben?»
Die Antwort des Orakels offenbart sich, noch bevor ich meine Frage zu Ende formulieren kann. Für einen Moment erfüllt mich ein warmes Gefühl von Raum und Zeit transzendierender Kameradschaft mit all den armen Seelen, die – genau wie ich – Dinge zu füllen haben: Mägen, Köpfe, Leben(szeit) und offensichtlich auch den Platz unter dem Weihnachtsbaum; allesamt existentielle, schöpferische Bestandteile des Lebens, die Menschen im alltäglichen Vollzug ihres bescheidenen und flüchtigen Daseins zu dem machen, was sie sind.
Gleichzeitig spricht aus den Variationen meiner Frage eine Leere in Form von Hunger, Langeweile und lähmender Sinnlosigkeit, die alles zu verschlingen droht. Und nur eine Frage steht zwischen dem gähnenden Abgrund und einer rettenden Entscheidung: Was soll ich kochen?
Die meisten Leser*innen werden bei dieser Frage glücklicherweise nicht als erstes an die sich täglich wiederholende Misere denken, wenn man schlicht nichts hat, das man kochen könnte. Ich werde jetzt auch nicht in Dickensscher Manier den Finger erheben und alle zur Demut aufrufen (höchstens diejenigen, die in Google die Frage nach dem Weihnachtswunsch gestellt haben). Denn die Wahrheit ist, dass ich persönlich bestenfalls bei spontanen Einladungen in Studierenden-WGs mit Lebensmittelmangel konfrontiert war und selbst da konnte man die Prix Garantie-Nudeln mit der letzten verhutzelten Knoblauchzehe zu ‹Spaghetti con aglio e olio› nobilitieren.
Die essenzielle Notwendigkeit des Essens schwingt bei der Frage aber immer mit, auch wenn sie vielen im eigenen Alltag nur noch in Form von dystopischen Serien auf Netflix in Erinnerung gerufen wird. Selbst die Google-Suche reflektiert das Primat der unausweichlichen Frage, die noch vor den kapitalistisch-algorithmischen Suchvorschlägen unangefochten an erster Stelle steht. Erst kommt das Fressen.
Hat man aber mal das Problem der Nahrungsmittelsicherheit verdaut, bleibt die vordergründige Banalität einer Äusserung zurück, die oft einem Seufzen und einer lustlosen Bestandsaufnahme des Kühlschrankinhalts vorausgeht. Obwohl ich mich freimütig als Person zu erkennen gebe, die sehr gerne kocht und isst, muss ich gestehen, dass auch ich von diesem kulinarischen Ennui heimgesucht werde. Und der resultiert bei mir meistens in missmutig und trotzig im Stehen verspeisten Spiegeleiern auf Toast.
Jeden Tag muss man sich der schnöden Tatsache stellen, dass die vielbeschworene Notwendigkeit auch noch von repetitiver Arbeit und gastronomischer Monotonie begleitet wird – sofern man sich nicht tagtäglich um Abwechslung bemüht. Manche mögen zugunsten von Bequemlichkeit oder im Glauben an nahrungstechnisch optimierte Effizienz auf Soylent zurückgreifen. Für alle anderen aber beginnt nun die eigentliche Auseinandersetzung mit Essen, die es zu einem «totalen sozialen Phänomen» (Marcel Mauss) macht.
Brillat-Savarins Fluch sucht mich heim
«Sag mir, was du isst und ich sag dir, wer du bist» schrieb Anthelme Brillat-Savarin in Physiologie du Gout (1825) und wurde mit diesem Zitat zu einem der am häufigsten plagiierten Gastrosophen überhaupt. In seiner bekannteren Abwandlung als «Du bist, was du isst» macht diese Feststellung «Was soll ich kochen?» zur goldenen Gans unter den Fragen, denn plötzlich geht es nicht nur um das Füllen des Magens, sondern um nichts Geringeres als um die eigene Identität.
Zum Beispiel: Will ich gesund und nachhaltig essen, oder praktizier ich heute lieber gastronomische Selbstsorge und gönne mir etwas Ungesundes oder Importiertes, das mich aber glücklich macht? Macht vielleicht die Konformität mit Gesundheitstrends und die moralische Überlegenheit nachhaltigen Konsums glücklicher als das kurzweilige Glücksgefühl, das Älplermagronen in mir auslösen? Lebe ich lieber im Hier und Jetzt, anstatt mich mit gesellschaftlichen Erwartungen, Schönheitsidealen und ethischen Grundsatzentscheidungen auseinanderzusetzen? Cervelat oder Tofu?
Ein Blick auf die Google-Suchergebnisse hilft im ersten Moment nicht weiter. Die erste Anzeige von lolavegan.ch möchte mich zu einem sozialen und regionalen veganen Lebensstil motivieren, während lecker.de mit dem Sirenenruf einfacher Rezepte lockt (Kartoffelgulasch!). Die Verantwortung ist zu gross. Betty Bossi muss mich retten. Schliesslich hat dieses Schweizer Unternehmen mit der unausweichlichen Frage nicht nur seinen Erfolgszug angetreten, sondern auch das alltägliche Dilemma Schweizer Hausfrauen zur Schlagzeile gemacht: Was soll ich heute kochen?![i]
Ja, ich gestehe, wenn ich mich nicht den existenziellen, ethischen, identitären Fragen um meinen (Nahrungsmittel-)Konsum stellen will, wende ich mich vertrauensvoll an Betty Bossi, die mir einer mütterlichen Umarmung gleich die Verantwortung für einen Moment von den Schultern nimmt und einen praktikablen Vorschlag macht. Man möge mir die Werbung verzeihen, aber ich bin mit diesen Kochbüchern aufgewachsen und finde die Rezepte, wie sagt man so schön, bubi eifach und wohltuend unprätentiös. In der Such-Rubrik «Was koche ich heute?» wird jeden Tag ein Rezeptvorschlag gemacht. Heute? Rotes Thai-Curry. Gekauft! – für nur leichte Gewissensbisse wegen der importierten Zutaten.
Hier geht’s zum Rezept.
[i] Vgl. «Die Betty Bossi Story».
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