Private Sammler*innen leisten einen erheblichen Beitrag zur kulturhistorischen Auseinandersetzung mit Klangtechnologien und Audiomedien. Mithilfe der Gleichzeitigkeit zweier Lesarten von Zerstreuung lassen sich Hinweise auf die Spezifik dieser Objekte als Sammlungsgegenstände finden.
27.3.2023
Im Laufe des 20. und 21. Jahrhunderts hat sich die Art und Weise, wie Musik hergestellt, verbreitet und erlebt wird, durch die Entwicklung von Klangtechnologien und Audiomedien nachhaltig verändert. Nicht nur Kulturwissenschaftler*innen setzen sich aus diesem Grund mit Synthesizern, Schallplatten und Radios auseinander, sondern auch zahlreiche Privatsammler*innen, die nicht selten über umfangreiche Datenbanken und (Online-)Ausstellungen verfügen.
Das private Sammeln in solchen musikbezogenen Feldern ist zunehmend professionalisiert,[i] was sich auch am nach wie vor vitalen Interesse an historischen Empfangs-, Aufnahme- und Wiedergabegeräten zeigt. Neben Internetportalen organisieren sich die entsprechenden Privatpersonen durch Vereine, Messen und Chatgruppen untereinander und orientieren sich dadurch aneinander, wobei ihre konkreten Denk- und Herangehensweisen in Bezug auf die Objekte mitunter recht unterschiedlich aussehen.
Der Beitrag nimmt diese Verschiedenheit zum Ausgangspunkt, um der Spezifik von Empfangs-, Aufnahme- und Wiedergabegeräten als Sammlungsgegenstände nachzuspüren. Dafür wird gerade die Gleichzeitigkeit zweier Lesarten von Zerstreuung produktiv gemacht: das Auseinandertreiben und das Zeitvertreiben. Empirische Basis meiner Überlegungen bilden mehrere Interviews mit fünf privaten Sammlern[ii] im Alter zwischen 42 und 75 Jahren, die ihre Geräte über öffentliche Plattformen wie Webseiten oder stationäre Museen präsentieren.[iii]
Was und wie gesammelt wird
Von Raritäten bis zu sogenannter «Schüttware»[iv] (auf Massenproduktion ausgelegte Geräte) tummelt sich allerlei in den Sammlungen der Privatpersonen: holzlastige, mit Zierleisten versehene Radioschränke des ‹Gelsenkirchener Barocks›, als Designklassiker gefeierte, geradlinige Kompaktanlagen der Firma Braun, jugendlich anmutende Plattenspieler aus farbigem Kunststoff mit Namen wie mister hit oder RFT-Steuergeräte aus der sozialistischen Planwirtschaft.
Auf die Frage hin, was die Sammler an den Geräten interessiert, kommen zwar schnelle und eindeutige Antworten – nämlich: die Technik und die Historie –, diese Punkte werden jedoch nicht von denselben Personen hervorgehoben: Für die einen ist grundlegend: «Naja, die technischen Daten sind wesentlich, substanziell, stehen an erster Stelle. Weil die alten Radiogeräte, Funkgeräte und ähnliche – Plattenspieler, Tonbandgeräte –, die haben alle technischen Eigenschaften und teilweise auch besondere, die sich untereinander für den Interessierten unterscheiden.»[v]
Für die anderen wiederum zählt: «[D]ie Technik: wichtig. Aber die Technik ist ja bloss ein Aspekt davon. Dass alles zusammengehört, die, die es gemacht haben, die Leute. Was gesendet wurde. Die Apparate. Die Leute, die es gekauft haben, alles so. Weiss nicht, ob das richtig ist, aber das macht halt auch das Interessante aus, das Vielzählige. Doch, vielzählig. Obwohl es ein spezielles Thema ist.»[vi] Vielzählig meint, nicht die Eigenschaften der Objekte für sich zu betrachten, sondern zu berücksichtigen, wie sie genutzt wurden.
Lesart I: Zerstreuung als Auseinandertreiben
Welche Hinweise können diese unterschiedlichen Denk- und Herangehensweisen auf die Spezifik der Objekte als Sammlungsgegenstände geben? Einer Antwort mag sich über die erste Lesart von Zerstreuung genähert werden: dem Auseinandertreiben von Menschen (etwa Demonstrant*innen, wie der Duden als Beispiel vorschlägt) oder eben Dingen.
Bezogen auf materielle Kultur weist der Philosoph Manfred Sommer dieses Zerstreut-Werden als Voraussetzung des Gesammelt-Werden-Könnens von Dingen aus.[vii] Was damit aufgerufen wird, ist ein Davor der Zerstreuung. Ein Zustand, an dem die fraglichen Dinge beieinander – also noch nicht zerstreut – waren. Ob es sich um ein physisches oder metaphorisches Beieinander handelt, lässt Sommer offen. Die Frage nach diesem Davor ist für das private Sammeln der Empfangs-, Aufnahme- und Wiedergabegeräte jedoch zentral, schliesslich gelten die Objekte als «natürlich»[viii]. Das heisst, sie wurden in erster Linie nicht als Sammlungsgegenstände konzipiert, sondern waren als Gebrauchsgegenstände über Jahrzehnte hinweg in Alltagsroutinen breiter Bevölkerungsgruppen eingebunden und haben diese gestaltet.[ix]
Als «Symbolisierung einer nicht-präsenten, außeralltäglichen Wirklichkeit»[x] können an den Radios, Tonbandgeräten und Schallplattenspielern Geschichts- und Gesellschaftsbilder aufgerufen werden, die bis zu den Vorläufern der sich international entwickelnden Informations- und Unterhaltungselektronikindustrie Ende des 19. Jahrhunderts zurückreichen. Mit Blick auf Deutschland gelten die Apparate vor dem Hintergrund der Nachkriegszeit etwa als Manifestationen von Innovationskraft und Erfinderreichtum, was sie im Sammlungskontext zum bewahrenswerten, kulturellen Erbe macht.
Gleichzeitig bietet die bewegte Technikhistorie Anknüpfungspunkte, um politische Systeme und Wirtschaftsmodelle auf den Prüfstand zu stellen. Zum Beispiel, indem die Gefahr des Nationalsozialismus an der Instrumentalisierung des Rundfunks in den 1930ern aufgezeigt oder aber die sozialistische Planwirtschaft der DDR zu Teilen positiv gedeutet werden kann: «[D]as Ding muss mindestens dreissig Jahre halten, relativ zeitlos von Design sein, also man hat da auch in den Siebzigern, wo alles ziemlich bunt war, nicht gross rumgespielt, weil man ja genau wusste, die Leute haben es in dreissig Jahren immer noch und ja, ist halt einfach eine ehrliche Qualität.»[xi]
Diese Einblicke geben Aufschluss darüber, dass sich der Wert der Objekte selten an rein ökonomischen Faktoren bemisst. Viel eher gilt, dass sie für technische Entwicklungen und (klang-)ästhetische Leitlinien stehen, an denen sich etwas über zeitliche, räumliche und soziale Konstellationen im Wandel ablesen lassen kann. Der gemeinsame Zielhorizont der Sammler – ob sie nun eher auf die Technik oder die Historie konzentriert sind – liesse sich demnach mit folgender Denkfigur umschreiben: Sie setzen mittels der vormals zerstreuten Objekte vergangene Alltagswelten wieder zusammen.
Diese Objekte erlauben es den Sammlern, ihrem Interesse ein gesellschaftsrelevantes und damit überindividuelles Gewicht zuzuschreiben. Als Instrument, um über Vergangenheit und Gegenwart nachzudenken, kann das private Sammeln für sich und andere sinnvoll gemacht werden: «Ich kann nicht viel Geld zurückgeben. Ich kann auch keine grossen Bauwerke zurückgeben. Ich kann Wissen zurückgeben. Wissen, das ist vergänglich. Denn wenn wir alten Säcke nicht mehr da sind, dann weiss das ja keiner mehr. Wer weiss die Interna von Braun oder von SABA oder von Grundig?»[xii].
Lesart II: Zerstreuung als Zeitvertreiben
Über die zweite Lesart von Zerstreuung, dem Zeitvertreiben, lässt sich der Blick stärker auf die konkreten Sammlungs- und Ausstellungstätigkeiten richten. Zerstreuung meint hier allerdings nicht die Abwesenheit von Aufmerksamkeit. Denn nach dem Medienwissenschaftler Sebastian Vehlken «unterhält das wohltuende Sich-Verlieren in den oft monotonen Abläufen heimwerklerischer Tätigkeiten und in den angesprochenen Regelhaftigkeiten individueller Hobbys ebenso wie das gedankenlose und -lösende Sich-Beschäftigen mit ‹nutzlosen› Themen und Dingen immer schon eine intrinsische Verbindung mit einer dafür nötigen Konzentration»[xiii].
Zum Tätigkeitsprofil der befragten Privatpersonen zählt neben der Beschaffung der Apparate beispielsweise, sie zu reparieren und ihre Provenienz zu beleuchten, historische Radioprogramme, Firmenkataloge und Werbeanzeigen auszuwerten, Zeitzeug*innen zu befragen, Informationen für die Webseiten und Museen aufzubereiten oder sich mit anderen Sammler*innen, Journalist*innen und Wissenschaftler*innen auszutauschen.
So bietet nicht nur die historische Dimension der Objekte die Möglichkeit für das «wohltuende Sich-Verlieren»[xiv]. Hinzu kommt erstens ihre elektromechanische respektive elektronische Beschaffenheit, sodass die Funktionsweisen der Apparate vergleichend eingeschätzt oder wieder in Gang gebracht werden können. Zweitens spielt ihr prinzipielles «Zu-Viel-Sein»[xv] eine Rolle, welches durch die hohe Entwicklungs- und Produktionsrate der Apparate als Teil populärer Kultur bedingt ist: «Ja, der Reiz ist eigentlich, man kann immer wieder neue Geräte entdecken und teilweise ganz irre Technik dahinter und auch zeigen, was es schon gab, weil vieles gab es früher schon.»[xvi]
Im Gespräch mit den Sammlern scheint in diesem Zusammenhang durch, dass sie die genannten Tätigkeiten wie das Reparieren teilweise über den Besitz der Objekte stellen: «Wenn ich irgendein neues Gerät find’, das ich nicht kannte, dann find’ ich’s interessant. Aber dann irgendwann ist’s dann auch durch, dass ich sag’: ‹Jetzt hab’ ich dazu recherchiert, was ich rausgekriegt hab’, setzte ich dann halt auch in die Internetseite›, aber beschäftige mich danach eigentlich nicht mehr weiter damit. Denk‘, so gehen die meisten ja auch ran, die das Hobby haben, dass man sagt: ‹Okay, wenn’s dann repariert ist, wenn’s dann funktioniert, danach ist’s eigentlich relativ uninteressant›.»[xvii] Ein anderer Sammler gibt zu verstehen: «Wobei ich in der Zwischenzeit sagen muss, es ist Tatsache in der Zwischenzeit eben so, dass die Sammlung mir jetzt weniger am Herzen liegt als die Webseite. So, nicht eins zu eins, aber so ein bisschen.»[xviii]
Während klassische wissenschaftliche Konzepte das Sammeln als Mittel sehen, um eine nischenhafte Kenner*innenschaft auszubilden oder als Ausdruck von Biographiearbeit, treten hier «situative Zustände, unmittelbare Erfahrungen, Affekte und Emotionen in den Vordergrund»[xix]. Die erstgenannten Punkte werden nicht obsolet, denn weiterhin verspricht Wissen im Sammlungskontext soziale Geltung und Lebensgeschichtliches ist in die Sammlungen eingeschrieben. Dennoch ist es lohnenswert, die Perspektive zu erweitern, da das «Zerstreuungspotenzial»[xx] nicht allein in der Sammlung als Produkt liegt, sondern im Prozess des Sammelns selbst.
Warum es gerade diese Objekte sind – und keine anderen
Das private Sammeln historischer Empfangs-, Aufnahme- und Wiedergabegeräte kann als gegenwärtiges Ver- und Bewertungssystem von Klangtechnologien und Audiomedien verstanden werden.[xxi] Neben den Feldern der Musikproduktion, ‑distribution und ‑rezeption wirkt es daran mit, wie über die musikalischen Realitäten des 20. und 21. Jahrhunderts nachgedacht wird (auch in der Wissenschaft!).
Die Apparate werden mit einer Geschichtsträchtigkeit ausgestattet, die es ermöglicht, Gesellschaftslehren zu formulieren und aus «subjektiven Perspektiven sammelnd Ordnung in die Welt zu bringen».
Im Zentrum dieses Ver- und Bewertungssystems stehen Objekte, die ausgehend von der Ökonomisierung von Musik fest in den Alltag ‹der Vielen› eingebunden waren. Sie begründeten Formen des Unterhalten-Werdens, deren sozioökonomische Prägekraft sich in der Gegenwart in Musikstreamingdiensten und Smartphones aktualisiert hat. Vor diesem Hintergrund werden die Apparate mit einer Geschichtsträchtigkeit ausgestattet, die es ermöglicht, Gesellschaftslehren zu formulieren und aus «subjektiven Perspektiven sammelnd Ordnung in die Welt zu bringen»[xxii]. Ferner eröffnet die Materialität der Geräte es, sich als handlungsmächtig zu erfahren, indem an ihnen technische Fertigkeiten erprobt werden können.
Die Spezifik der Empfangs-, Aufnahme- und Wiedergabegeräte als Sammlungsgegenstände liegt gerade darin, dass die genannten Aspekte in ihnen verschränkt sind, was sie anschlussfähig für die unterschiedlichen Denk- und Herangehensweisen der Privatpersonen macht. Diese Verschränkung unterscheidet die Apparate potenziell von anderen Klangtechnologien und Audiomedien wie Synthesizern oder Schallplatten, bei denen eher klangliche Alleinstellungsmerkmale in Produktionsfeldern oder Wissen um populäre Musik leitend sind – eine These, die weitere Forschungsarbeiten anzuregen vermag.
[i] Vgl. Sarah Baker und Alison Huber: Saving ‹Rubbish›. Preserving Popular Music’s Material Culture in Amateur Archives and Museums. In: Sara Cohen, Robert Knifton, Marion Leonard und Les Roberts (Hrsg.): Sites of Popular Music Heritage. Memories, Histories, Places. London 2014, S. 112-124, hier S. 112. [ii] Im Hinblick auf das Geschlecht der Interviewpartner*innen konnte keine Varianz forciert werden, sodass alle befragten Akteure männlich sind, ein Ungleichgewicht, das in einschlägigen Studien vielfach diskutiert worden ist. Siehe hierzu Monika Röther: The Sound of Distinction. Phonogeräte in der Bundesrepublik Deutschland (1957–1973). Eine Objektgeschichte. Marburg 2012. [iii] Der vorliegende Beitrag basiert erstens auf Ergebnissen der sechsmonatigen Citizen-Science-Studie «Privates Archivieren. Neue Impulse für eine kulturwissenschaftliche Objektforschung», die 2021 am Zentrum für Populäre Kultur und Musik (ZPKM) durchgeführt wurde. Finanziert wurde sie durch das Förderprogramm «Reziproker Wissenstransfer» der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Zweite Grundlage bildet Interviewmaterial derselben Interviewpartner, welches im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Verbundprojektes «Musikobjekte der populären Kultur. Funktion und Bedeutung von Instrumententechnologie und Audiomedien im gesellschaftlichen Wandel» (2018–2021) erhoben wurde. Für die produktive Zusammenarbeit in beiden Projekten dankt die Autorin insbesondere Christofer Jost. [iv] Interview mit Rainer Steinführ, 04.08.2021. [v] Ebd. [vi] Interview mit Uwe Steinle, 14.02.2020. [vii] Vgl. Manfred Sommer: Sammeln. In: Stefanie Samida, Manfred K.H. Eggert und Hans Peter Hahn (Hrsg.): Handbuch Materielle Kultur. Bedeutungen, Konzepte, Disziplinen. Stuttgart Weimar 2014, S. 109-117, hier S. 110. [viii] Interview mit Uwe Steinle, 27.06.2021.
[ix] Siehe hierzu Benjamin Burkhart u.a. (Hrsg.): Audiowelten. Technologie und Medien in der populären Musik nach 1945 – 22 Objektstudien. Münster 2021.
[x] Michaela Pfadenhauer: Artefakt-Gemeinschaften?! Technikverwendung und -entwicklung in Aneignungskulturen. In: Anne Honer, Michael Meuser und dies. (Hrsg.): Fragile Sozialität, Inszenierungen, Sinnwelten, Existenzbastler. Wiesbaden 2010, S. 355-379, hier S. 358f.
[xi] Interview mit Torsten Anter, 18.06.2021.
[xii] Interview mit Gert Redlich, 29.07.2020.
[xiii] Sebastian Vehlken: Zum Lachen in den Keller. Die Heimbar als Heterotopie. In: Figurationen. Gender, Literatur, Kultur 2 (2015), S. 45-61, hier S. 47.
[xiv] Ebd.
[xv] Stefan Krankenhagen: All these things. Überlegungen zu Populären Dingen. In: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 155 (2019), S. 27-46, hier S. 28.
[xvi] Interview mit Markus Nüdling, 01.09.2021.
[xvii] Interview mit Torsten Anter, 18.06.2021.
[xviii] Interview mit Rainer Steinführ, 04.08.2021.
[xix] Christian Elster: Pop-Musik sammeln. Zehn ethnografische Tracks zwischen Plattenladen und Streamingportal. Bielefeld 2021, hier S. 204.
[xx] Sebastian Vehlken: Zum Lachen in den Keller. Die Heimbar als Heterotopie. In: Figurationen. Gender, Literatur, Kultur 2 (2015), S. 45-61, hier S. 47.
[xxi] Siehe hierzu auch: Laura Marie Steinhaus und Christofer Jost:Von ‹besonderen› Dingen erzählen. Selbst- und Weltdeutungen in den Handlungsfeldern Herstellung, Vertrieb und Kuration von Musikwiedergabegeräten. In: Ralf von Appen und Peter Klose (Hrsg.):«All the Things You Are». Populäre Musik und materielle Kultur. Bielefeld 2023 (im Erscheinen).
[xxii] Christian Elster: Pop-Musik sammeln. Zehn ethnografische Tracks zwischen Plattenladen und Streamingportal. Bielefeld 2021, hier S. 201.
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