Ausstellungsobjekte werden im Museum Rietberg normalerweise als Kunstwerke aus Asien, Afrika, Amerika und Ozeanien präsentiert, die den Museumsgänger*innen der Schweiz einen Zugang zu fernen Kulturen ermöglichen sollen. Die Ausstellung «Wege der Kunst. Wie Objekte ins Museum kommen» rückt nun jedoch die Artefakte selbst und ihre Geschichte in den Mittelpunkt. Es ist ein Versuch, die eigene Ausstellungspraxis öffentlich zu reflektieren und im aufgeheizten, drängenden gesellschaftlichen Diskurs zu Raubkunst, kolonialen Strukturen im Kunsthandel und «cultural appropriation» Transparenz zu schaffen.
16.2.2024
«Neulich im Museum» ist eine Kolumne von «das bulletin. Für Alltag und Populäres». Sie will den kulturwissenschaftlichen Blick auf die Institution Museum und das populäre Medium Ausstellung schärfen und dem nach wie vor vernachlässigten Genre der Ausstellungskritik einen Platz geben. Dazu erscheinen in loser Folge knappe Berichte von Besuchen in kleinen und grossen Museen des In- und Auslands, sichtbaren und weniger sichtbaren, solchen mit deutlicherem Bezug zur Kulturwissenschaft des Alltags und auch solchen, bei denen sich dieser nicht auf den ersten Blick erkennen lässt.
Im Jahr 1949 beschloss das Stimmvolk von Zürich, dass die Villa Wesendonck, die sich im grössten Parks Zürichs befindet, in ein Museum umgebaut werden soll. 1952 wurde demnach das Museum Rietberg gegründet, in dem vor allem die aussereuropäische Kunst der Sammlung von Eduard von der Heydt ausgestellt werden sollte. Eduard von der Heydt verfolgte den Ansatz der «ars una», nach dem Kunst keinen nationalen und regionalen Grenzen unterliegt, sondern ein einheitliches Gesamtwerk der Menschheit ist und immer gleichwertig ausgestellt werden soll. Bis heute werden diverse afrikanische, asiatische und ozeanische Kunstwerke der Sammlung im Museum Rietberg ausgestellt, wobei die gleichwertige Präsentation der Artefakte im Vordergrund steht.
Die politische Gesinnung von Eduard von der Heydt ist bis heute umstritten, da er für einige Jahre Mitglied der NSDAP war und ihm vorgeworfen wird, während des Zweiten Weltkriegs deutsche Agenten über sein Konto bezahlt zu haben. Ausserdem wird seit Ende des 20. Jahrhunderts in der Öffentlichkeit allgemein über den Umgang mit Raubkunst vor allem aus der NS-Zeit, aber auch im kolonialen Kontext diskutiert. Es wird die breite Aufarbeitung über Herkunft und Beschaffung der Objekte in Museen gefordert, vor allem bei Sammlungen, die nichteuropäische Artefakte beinhalten. Auch das Museum Rietberg steht vor der Aufgabe, sich mit dem Hintergrund der eigenen Sammlungen auseinanderzusetzen und die eigene Ausstellungspraktik zu hinterfragen. Während andere Museen die Provenienzforschung lieber langsam und intern vorantreiben oder die Artefakte in ihre Ursprungskulturen zurückführen, wählt das Museum Rietberg den Weg der transparenten Aufklärung. In diesem Rahmen entstand auch die Ausstellung «Wege der Kunst. Wie die Objekte ins Museum kommen», die man als Vorschlag deuten kann, wie der Umgang mit dem «Dilemma» der Raubkunst oder umstrittenen Sammlungen aussehen kann.
Leitfragen – Stationen – Themen
Die Ausstellung wurde von der Historikerin Esther Tisa kuratiert und setzt sich mit zwei Leitfragen auseinander: Wie gelangen Ausstellungsobjekte ins Museum? Und wann werden Objekte zur Kunst und wie können sie im Museum präsentiert werden? Die Fragen werden am konkreten Beispiel der bestehenden Sammlungen des Museums Rietberg behandelt, die insgesamt etwa 23'000 Objekte und 44'000 Fotografien umfassen. Die Ausstellung präsentiert also den eigenen Bestand im Kontext der Herkunftsgeschichte und vor dem Hintergrund des eigenen Kunstbegriffs. Dabei wird explizit das 19. und 20. Jahrhundert und somit der koloniale Kontext in den Fokus gerückt. Ebenfalls präsentiert werden Bestandteile des Museumsarchivs. Damit wird auch die interne Arbeitspraxis des Museums erstmals zum Gegenstand einer Ausstellung im Museum Rietberg.
Das Vorhaben der Ausstellung ist gross, die Thematik hochkomplex. Dementsprechend ausufernd ist der Umfang der Ausstellung. Ungefähr 400 Objekte werden auf drei Stockwerken ausgestellt. Um die Ausstellung, aber auch die Thematik allgemein zu gliedern, wurde ein Parcours mit 22 Stationen geschaffen, die in alphabetischer Reihenfolge geordnet sind. An jeder Station wird beispielsweise eine Sammlung, ein*e Händler*in oder eine Sammlungspraxis vorgestellt. Ausserdem gibt es vier übergeordnete Themen, denen die Stationen jeweils zugeordnet werden: Sammeln, Zeigen, Handeln und Wissen. Die Themen werden durchmischt behandelt, es gibt ausserdem zu jedem Thema einen Fokusraum, der zusätzlich zu den Stationen weitere Informationen liefert. Durch die Zuordnung der Stationen zu den Themen werden die Zusammenhänge zu den Leitfragen der Ausstellung hergestellt.
Sammeln und Handeln in kolonialen Strukturen
Die Ausstellung legt offen, dass das Museum Rietberg vor allem von Privatpersonen profitierte, die ihre eigenen Sammlungen dem Museum schenkten, liehen oder verkauften. Diese Privatpersonen stehen zum einen für Leidenschaft und Faszination für Kunstobjekte ferner Kulturen. Sie stellen aber auch eine europäische Machtdemonstration dar, da viele Objekte illegal erworben oder aus ihren Herkunftskulturen entwendet wurden. Bei dieser Entwendung spielten die Händler*innen eine wichtige Rolle. Sie konnten den Geschmack der Sammler*innen oftmals beeinflussen und den Kunstmarkt eigennützig prägen. Dies führte dazu, dass aussereuropäisches Kulturgut in grossem Ausmass aus den Herkunftskulturen (manchmal legal, manchmal illegal) entwendet wurde. Koloniale Strukturen machten diese Entwendung oftmals möglich oder befeuerten sie sogar.
Es wird ersichtlich, dass die meisten Objekte, die im Museum Rietberg präsentiert werden, ursprünglich nicht als Kunst, sondern für religiöse und rituelle Praktiken verwendet wurden. Indem sie aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gerissen wurden, gab es also einen Bedeutungswandel: Der westliche Kunstbegriff kategorisierte die Objekte neu und legitimierte, dass sie für die westliche Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Die Ausstellung weist ausserdem darauf hin, dass viele Informationen über Objekte auf ihrem Weg ins Museum verloren gingen, unterschlagen oder nicht beachtet wurden. Sie fordert, durch Vernetzung zwischen Museen, Historiker*innen, Künstler*innen und Personen der Herkunftskulturen das Wissen zu erweitern. Zukünftig sollen zum einen die Provenienz und der Weg der Objekte ins Museum transparenter gemacht werden, zum anderen sollten die Ausstellungsstücke in westlichen Museen reflektierter präsentiert werden.
Das Motiv des Wegs, das schon im Namen der Ausstellung zu finden ist, zieht sich durch die ganze Ausstellung. Nicht nur inhaltlich werden die Wege der Ausstellungobjekte und der Sammler*innen rekonstruiert, auch in der Grafik der Werbemittel, also auf dem Ausstellungsplakat und den Flyern, ist ein grüngepunkteter Weg zu finden. Eben diese Grafik verziert auch die Informationsfelder und -tafeln in der Ausstellung. Auch auf dem Boden der Ausstellungsräume zeigt der grüngepunktete Weg mit Pfeilelementen den Parcours durch die Ausstellungsräume. Dies ist ein schönes Element bis zum zweiten Stockwerkwechsel, bei dem der Weg abrupt endet und die Besucher*innen mit der Aufgabe alleine gelassen werden, vom zweiten Stock der Villa Wesendonck in den unterirdischen Teil des Smaragdbaus zu finden, um dort am richtigen Punkt wieder in die Ausstellung einzusteigen. Wenn man dieser Aufgabe aufgrund von fehlendem Orientierungssinn nicht gewachsen ist, kann es leider passieren, dass Stationen ausgelassen werden.
Problematik der Zugänglichkeit
Die Ausstellung ist sehr textlastig und vor allem für Personen mit einem höheren Bildungsgrad gut zugänglich. Es besteht das Angebot eines alternativen Parcours durch die Ausstellung, der für Kinder von fünf bis zehn Jahren konzipiert ist. Diese können sich mit Hilfe von interaktiven Elementen die Thematik erschliessen. Die Ausstellung umfasst ausserdem nicht nur Textelemente und Bestandteile der Sammlungen, sondern präsentiert auch Videos, beispielsweise über Privatpersonen, die auf unterschiedlichen Wegen in den Besitz von aussereuropäischer Kunst gekommen sind. Diese vereinzelten intermedialen Stationen behandeln aber nur Randthemen. Das Museum Rietberg bietet zudem für die Ausstellung keinen Begleittext in einfacher Sprache an, wie es mittlerweile in einigen Museen üblich ist, um bildungsferne Personen, Legastheniker*innen und nicht deutschsprachige Personen nicht zu exkludieren.
Es wirkt irritierend, dass das Museum Rietberg zwar Transparenz bezüglich der eigenen Ausstellungspraxis zeigt, diese jedoch nach wie vor vor allem für Schweizer Museumsbesucher*innen zugänglich ist. Personen aus Kulturen, deren traditionelle Artefakte auch in dieser Ausstellung als Kunst präsentiert werden, haben möglicherweise aufgrund von fehlenden Sprachkenntnissen (der Ausstellungstext ist nur auf Deutsch und Englisch erhältlich) oder aufgrund der fehlenden Nähe zu Museen allgemein erneut keinen Zugang zu den Artefakten und der Reflexion in der Ausstellung. Es verdient Anerkennung, dass das Museum Rietberg sich vor der schweizerischen, europäischen und westlichen Öffentlichkeit auf Deutsch und Englisch erklären und reflektieren möchte – es kann jedoch auch heuchlerisch wirken, wenn die betroffenen Kulturen diese Reflexion nicht niederschwellig erreichen können.
Gewiss gibt es andere Ansätze, die beispielsweise betroffene Personen und Kulturen noch stärker in die Aufarbeitung einbeziehen.
Abschliessend lässt sich sagen, dass die Ausstellung «Wege der Kunst. Wie Objekte ins Museum kommen» einen schlüssigen Ansatz verfolgt, über die westliche Ausstellungspraxis von nicht-europäischen Artefakten zu informieren und diese zu reflektieren. Das Museum Rietberg scheut sich nicht, der Öffentlichkeit die Hintergründe der eigenen Sammlungen zu präsentieren und sich selbst zu hinterfragen. Der grosse Umfang der Ausstellung zeigt zudem, dass die Verantwortlichen die flächendeckende Aufklärung sehr ernst nehmen und nicht nur die Spitze des Eisbergs zeigen möchten. Ob diese Methode, mit der westlichen Ausstellungspraxis im Kontext von Raubkunst umzugehen, nun die einzig mögliche oder einzig richtige ist, bleibt offen. Gewiss gibt es andere Ansätze, die beispielsweise betroffene Personen und Kulturen noch stärker in die Aufarbeitung einbeziehen. Der Prozess der Aufarbeitung ist jedoch genau wie das Gelangen der Ausstellungsobjekte in das Museum Rietberg – ein langer Weg.
«Wege der Kunst. Wie Objekte ins Museum kommen» verlängert bis 24. März 2024 im Museum Rietberg, Gablerstrasse 15, 8002 Zürich, Di–So, 10–17 Uhr (Mi bis 20 Uhr).
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